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„Digitalisierung als Chance begreifen“

Digitalministerin Dorothee Bär erklärt im Interview mit der BFV-Redaktion, in welchen Bereichen Deutschland führend ist – und wo noch dringend Nachholbedarf besteht

Für Digitalministerin Dorothee Bär ist klar: „In unserer Gesellschaft fehlt das Verständnis für Daten als grundlegende Ressource für Innovation und Wirtschaftswachstum.“ Im Interview mit der BFV-Redaktion erklärt die Diplom-Politologin, die seit 2013 Mitglied im Stiftungsrat der Sozialstiftung des Bayerischen Fußball-Verbandes (BFV) ist, was sich aus ihrer Sicht dringend ändern muss, um international nicht den Anschluss zu verlieren.

Frau Bär, als Staatsministerin und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung sind Sie ohnehin viel online unterwegs. Hat sich das in der aktuellen Situation nochmal verstärkt oder war da keine Steigerung mehr möglich? DOROTHEE BÄR: Meine Online-Präsenz hat sich auf jeden Fall noch einmal verstärkt. Denn nur, weil ich schon vor der Corona-Pandemie viel online unterwegs war, hieß das ja nicht, dass auch meine Gesprächspartner das immer waren. Hier hat sich einiges verändert. Ich spüre, wie sich selbst bei den größten Skeptikern immer mehr die Erkenntnis durchsetzt, dass man nicht für jede Besprechung und jeden Austausch quer durchs Land reisen muss, sondern dass die Videokonferenz aus dem heimischen Wohnzimmer heraus auch ihre Vorteile hat. Die Erkenntnis wird auch nach Corona bleiben, da bin ich mir sicher.

Die direkten persönlichen Kontakte sind aus gutem Grund aktuell sehr eingeschränkt. Viele nutzen jetzt – vor allem für ihre Kommunikation – Digitalangebote. Generell ist das Thema Digitalisierung mit allen Facetten aktuell natürlich omnipräsent und rückt verstärkt in den gesellschaftlichen Fokus. Das müsste Sie doch freuen, oder? BÄR: Zunächst mal möchte ich herausstellen, dass ich natürlich nicht glücklich darüber bin, dass es einer solchen Krise bedurfte, um das Thema Digitalisierung so in den Fokus zu rücken. Ich hätte mir gewünscht, dass dieses Thema auch ohne Corona die Aufmerksamkeit erhält, die es verdient. Denn unabhängig von der Krise bietet die Digitalisierung Chancen, die Herausforderungen für die Zukunft in den unterschiedlichsten Lebensbereichen zu meistern, sei es nun der Gesundheitssektor, die Wirtschafts- und Arbeitswelt, oder in den Bereichen Verkehr oder Bildung.

Welche Chancen für die Digitalisierungsthemen sehen Sie in der aktuellen Situation und welche Bereiche stechen besonders hervor? BÄR: Ich habe nun die Hoffnung, dass die Erkenntnisse aus der Krise dazu genutzt werden, das Thema Digitalisierung auch mit nachhaltigem Engagement anzugehen. Nehmen Sie den Bereich der Bildung: Ohne die Unterstützung mit digitalen Hilfsmitteln wäre es kaum möglich, das Thema Home-Schooling in der nun erforderlichen Weise zu gestalten. Oder dass die vielen Menschen nun im Home-Office ihre Arbeit verrichten, das wäre ohne die Digitalisierung undenkbar. Wir als Bundesregierung haben kürzlich einen sogenannten Hackathon, einen digitalen Ideenwettbewerb, unterstützt, bei dem es nicht nur, aber vor allem darum ging, möglichst schnell digitale Lösungen für definierte Herausforderungen zu entwickeln. Neben dem wirklich großartigen Engagement der rund 27.000 Menschen, die sich hieran beteiligt haben und den vielen guten Lösungen, die entwickelt wurden, zeigte sich mir vor allem auch eines: Wenn wir wollen oder müssen, dann sind wir sehr viel schneller als sonst üblich in der Lage, im Bereich der Digitalisierung Lösungen zu entwickeln. Das macht mir Hoffnung.

Welche Risiken sehen Sie? Werden wir beispielsweise die „echten“ sozialen Kontakte einschränken, oder nicht mehr auf die verstärkt in Anspruch genommenen Lieferservices verzichten wollen, die ja auch nicht nur positive Effekte haben, wenn man beispielsweise an den Einzelhandel denkt? BÄR: Ich glaube nicht, dass das von Ihnen beschriebenen Risiko tatsächlich besteht. Wir sehen zwar in der Krise, dass wir uns diszipliniert an die Vorgaben, z. B. Kontaktbeschränkungen, halten. Aber wir Menschen sind soziale Wesen und es drängt uns in die Gemeinschaft und zu sozialen Kontakten. Aber vielleicht werden Bereiche und Aufgaben bleiben und zukünftig auch entstehen, in denen es ohnehin nicht um menschliche Eigenschaften wie Empathie, soziale Kontakte, Spontaneität, geht. Ich denke hierbei an Bereiche, in den Maschinen und digitale Hilfsmittel eingesetzt werden können, um Menschen zu entlasten, damit diese das tun können, was wiederum Maschinen nicht leisten können, z. B. im Bereich der Pflege. Natürlich gibt es auch Risiken. Aber ich denke, der Rahmen, innerhalb dessen Digitalisierungsthemen realisiert werden, zum Beispiel Datenschutz oder Jugendschutz, ist so gestaltet, dass Risiken beherrschbar sind und die Möglichkeiten im Vordergrund stehen sollten.

Wird künftig weniger oder anders über Datenschutz diskutiert werden? BÄR: In unserer Gesellschaft fehlt das Verständnis für Daten als grundlegende Ressource für Innovation und Wirtschaftswachstum. Die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz wird sehr stark eingeschränkt durch nicht zugängliche öffentliche Daten. Die Digitalisierung kann jedoch nur dann gelingen, wenn wir mehr qualitativ hochwertige Daten haben. Ich hoffe, dass die Krise zu etwas mehr Einsicht geführt hat. Bürgerinnen und Bürger sehen nun, dass Daten eine große Bedeutung für Gesundheitsversorgung, Gesellschaft und Wirtschaft haben. Selbstverständlich darf die jetzige Krise nicht zum Einfallstor für Diskussionen werden, die im Gegensatz zu unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen, das ist ganz klar.

Nicht wenige hatten bisher beim Thema Digitalisierung Angst, dass dadurch auch viele Jobs auf dem Spiel stehen. Aktuell ist es für viele Betriebe hingegen der Rettungsanker – beispielsweise in der Gastronomie. Wird da ein Umdenken stattfinden? BÄR: Einer der größten Hemmschuhe gegen eine zunehmende Digitalisierung war in der Vergangenheit tatsächlich die geringe Neigung der Menschen zu Veränderungen in diesem Bereich. Insofern wünsche ich mir, dass es im Zuge der Krise zu einer Veränderung bei dieser skeptischen Haltung kommt. Denn auch, wenn die Krise einmal überwunden sein wird, bleiben weitere Herausforderungen für die Zukunft, denen wir uns stellen müssen, z. B. demografische Entwicklung oder auch wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit. Und ich bin überzeugt, dass wir diesen nur erfolgreich begegnen können werden, wenn wir die Digitalisierung mehr als Chance denn als Risiko begreifen. Und hierzu gehört auch die Erkenntnis, dass es besser ist, aktiv die Zukunft zu gestalten, als erst in einer krisenhaften Situation unter Zeitdruck und erschwerten Bedingungen zu reagieren.

In welchen Bereichen der Digitalisierung sind wir in Deutschland/Bayern schon gut aufgestellt? BÄR: In den Bereichen Sensorik, Robotik und Photonik sind wir führend. Deutsche Unternehmen liegen an der Weltspitze bei den Patentanmeldungen rund um das autonome Fahren. Auch in der Grundlagenforschung im Bereich Künstlicher Intelligenz ist Deutschland mit an der Spitze. Unsere Stärke im Verarbeitenden Gewerbe sollten wir nutzen, um zum Beispiel im Bereich Industrie 4.0 Weltmarktführer der Zukunft aufzubauen. Da sehe ich für den Wirtschaftsstandort Deutschland große Chancen.

Wo sehen Sie dagegen aktuell den größten Handlungsbedarf? BÄR: Bei der digitalen Bildung haben wir großen Nachholbedarf, das zeigt sich insbesondere in der jetzigen Krise. Es scheitert dabei nicht nur am Finanziellen, oftmals gibt es selbst innerhalb der Schulen gewaltige Unterschiede in der digitalen Bildung. Mich erreichten vor der Corona-Pandemie viele Zuschriften von Eltern, die sich gegen digitale Bildung aussprachen. Es fehlt der Druck, disruptiv zu denken. Eltern haben oft Angst, dass mit digitalen Endgeräten nur gespielt wird, aber dank der Hausaufgaben und Wochenpläne machen die Kinder während der Corona-Zeit damit viel Vernünftiges. Bei dem Thema digitale Bildung frage ich mich auch, ob der Föderalismus ein zu großes Hindernis ist. Die Bundesländer müssen endlich gemeinsame Standards festlegen. Der Bund hat aus dem Digitalpakt 100 Millionen Euro für den Aufbau von Online-Plattformen und für digitale Lehrinhalte bereitgestellt. Wir dürfen nicht nur in Infrastruktur und Endgeräte investieren, gerade in Zeiten wie diesen sehen wir, dass digitales Lernen immens wichtig ist. Durch die jetzige Krise, in der alle Home-Schooling machen müssen, scheint der Knoten geplatzt zu sein. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis auch noch nach der Krise anhält.

Für den BFV spielt neben der Information der Vereine und Aktiven zur Corona-Pandemie über die Digitalkanäle das Thema Webinare/Online-Schulungen eine große Rolle. Viele neue Angebote sind in kürzester Zeit ausgebucht. Aber das Thema E-Learning betrifft ja aktuell auch alle Schüler/Studenten und alle Weiterbildungsangebote in der Arbeitswelt. Treten wir gerade in ein neues Zeitalter der (Weiter)Bildung ein? BÄR: Weiterbildung war lange Zeit eine inhaltslose Floskel. Wir als Bundesregierung haben das Thema mit Inhalt gefüllt und die nationale Weiterbildungsstrategie beschlossen. Diese soll vor allem Antworten auf den digitalen Wandel finden und für Chancengleichheit für alle Menschen in der Arbeitswelt sorgen. Auch in der jetzigen Krisensituation kommen wir aber nicht drumherum, uns mit neuen digitalen Formaten auseinanderzusetzen und daraus zu lernen. Ich glaube, dass wir durch die Krise einen großen digitalen Schub erlangen, auch, wenn ich mir nie gewünscht habe, dass es für den Fortschritt so eine furchtbare Pandemie braucht.

Zu guter Letzt: Wie viele Nachrichten/Mails haben Sie auf Ihr Smartphone bekommen, während Sie diese Fragen beantwortet haben?
BÄR: Früher war es nicht immer leicht, einen Politiker direkt zu erreichen. Heute ist das über Social Media deutlich leichter möglich. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, über die sozialen Medien für jede Bürgerin und jeden Bürger direkt ansprechbar sein zu wollen. Insofern bekomme ich sehr viele Nachrichten und Mails. Die genaue Zahl kann ich nicht sagen. Ich kann mittlerweile sehr schnell tippen und komme daher mit dem Lesen und Bearbeiten noch hinterher (lacht).

 

DOROTHEE BÄR

Alter: 42
Beruf: Diplom-Politologin
Aktuelle Funktion: Staatsministerin für Digitales Bisherige Funktionen: Mitglied des Bundestages seit 2002, von 2009 bis 2013 Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, von Dezember 2013 bis März 2018 Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur.